Chaja Boebel war bis vor kurzem im IG Metall Bildungszentrum Berlin verantwortlich für gesellschaftspolitische Themen, hat dort beispielsweise Argumentationstrainings gegen Rechtspopulismus, gesellschaftspolitische Weiterbildungen oder Geschichtsseminare organisiert und durchgeführt. Nun ist sie im Ressort Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik des IG Metall-Vorstands verantwortliche Koordinatorin für das Engagement der Gewerkschaft gegen demokratiefeindliche Tendenzen.
Chaja, was genau ist deine Aufgabe beim IG Metall-Vorstand?
Ich bin für die Ausgestaltung der Aktivitäten der IG Metall gegen Rechtsextremismus und für Demokratie verantwortlich und arbeite dabei immer noch sehr stark inhaltlich und bildungsbezogen.
Warum ist das gerade nötig?
Es gibt eine sehr große Bereitschaft, rechts zu wählen. Wir tun uns mit befreundeten Gewerkschaften und Institutionen zusammen, um klar zu machen, was auf dem Spiel steht.
Wählen denn Gewerkschaftsmitgliedern überhaupt rechts?
Ja, durchaus. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Gewerkschafter*innen sogar leicht überdurchschnittlich zu rechtem Denken und Wahlverhalten neigen. Und dabei sind unsere Mitglieder – die industriell geprägten Facharbeiter – besonders stark vertreten. Die Rahmenbedingungen haben sich einfach so verändert, dass die Unsicherheit groß ist. Dagegen setzen wir auf Bildung.
Inwiefern?
Man läuft ja Gefahr, sich treiben zu lassen und auf die Inhalte, etwa der AfD, nur zu reagieren und beispielsweise die ganze Zeit über Flüchtlinge zu diskutieren. Aber wir wollen eigene Themen setzen.
Und welche sind das?
Es geht uns um soziale Gerechtigkeit, um eine Transformation, die alle mitnimmt, um sichere Arbeitsplätze.
Kann man Demokratie lernen?
Ja, das muss man sogar. Von dem Soziologen Oskar Negt stammt das Zitat »Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss«. Und zwar in den Betrieben, aber auch darüber hinaus.
Und welchen Beitrag leisten dabei die Bildungsangebote der IG Metall?
Wir erarbeiten beispielsweise, wie sich Kompromisse aushandeln lassen. Denn Politik beruht ja immer auf Kompromissen. Niemand kann seine Interessen komplett durchsetzen, wenn am Ende alle gut mit der Lösung leben wollen. Populisten behaupten aber etwas anderes.
Und es geht um historische Bezüge: Wann haben Gewerkschaften und politische Parteien in der Vergangenheit wie entschieden? Und was hat sich mittel- und langfristig daraus ergeben? Es gibt Seminare, in denen wir ganz konkret in die 1920er Jahre und auf den damaligen Kampf um die Demokratie schauen.
Ist die Nachfrage nach Veranstaltungen zum Thema Rechtspopulismus gerade höher als sonst?
Ja, sehr viel höher. Wir haben deshalb beispielsweise die Zahl der Seminare »Aktiv gegen Rechtspopulismus in Betrieb und Gesellschaft« verdoppelt. Und wir wollen mit einer neuen Ausbildungsreihe 1.000 Betriebsrät*innen und Vertrauensleute zu »Demokratiekämpfer*innen« ausbilden.
Generell haben wir in den letzten Jahren vermehrt unser zentrales Bildungsangebot ergänzt um Formate, die aktuellen Anforderungen flexibel begegnen. Da ging es zum Beispiel um den Umgang mit rechten Akteur*innen im Betrieb, um Verschwörungsvorstellungen, Antisemitismus und Rassismus, aber auch um Themen wie den Krieg in der Ukraine oder die Debatten in Folge der Terroranschläge der Hamas. Wir haben dazu Wochenendseminare, Diskussionsrunden und Online-Workshops in Betrieben, Geschäftsstellen und Bezirken der IG Metall durchgeführt. Immer nach dem Grundsatz: Wenn ein Thema wichtig für Euch ist, dann meldet Euch und wir schauen, ob wir dazu eine Veranstaltung anbieten können. So möchte ich das auch weiterhin machen.
Warum engagieren sich Gewerkschaften eigentlich gegen Rechts?
Wir sind qua Satzung dazu verpflichtet, uns demokratiegefährdenden Strukturen entgegenzustellen. Mitbestimmung geht nicht ohne Beteiligung. Nicht umsonst möchte die AfD ja am liebsten die Tarifautonomie aufweichen und die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen ganz außen vor lassen.
Zeigt der Blick in andere europäische Ländern, was uns drohen könnte?
Ja. In Österreich beispielsweise haben ÖVP und FPÖ die 12 Stunden-Tage wieder eingeführt, in Ungarn haben Arbeitgeber durch das so genannte »Sklavengesetz« das Recht, von ihren Mitarbeitenden bis zu 400 Überstunden im Jahr einzufordern.
Aus den Betrieben kommt ja oft der Wunsch, mit einfachen Antworten auf die ebenfalls einfachen, aber falschen Argumente der Rechtspopulisten reagieren zu können. Ist das realistisch?
Nein, es gibt keine einfachen Antworten. Auch wenn die Rechtspopulist*innen so tun, als ob. Uns geht es darum, nicht einfach Rechten-Bashing zu machen, sondern sie inhaltlich zu stellen. Es geht darum, an der eigenen Haltung zu arbeiten und zu fragen: Gibt es für die Probleme, die wir haben, nicht auch solidarische Lösungen? Denn die gibt es natürlich.
Also viel Arbeit?
Ja, aber es geht nicht anders. Mit unseren Bildungsangeboten zeigen wir den Wert der Demokratie und warum es nötig ist, sich für sie zu engagieren. Denn Demokratie erkennt unterschiedliche Positionen an. Rechtsextreme schließen alle aus, die nicht ihrer Meinung sind.
Sind eigentlich alle Betriebe gleich anfällig für derartige Gedanken?
Nein. Man kann sagen: Wenn Mitbestimmung gut läuft, dann sind Belegschaften immuner gegen rechtsextreme Verlockungen. Denn dann wissen sie genau, was es zu verteidigen gilt.