Solidarität international

Brasilien
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Im Sommer 2024 reiste eine Gruppe junger Gewerkschafter*innen nach Brasilien, um sich mit verschiedenen Gewerkschaftsgruppen und der Landlosenbewegung „Movimento Dos Trabalhadores Rurais Sem Terra“ (MST) über die politische Arbeit auszutauschen. Ziel der Reise war es, eine internationale Gewerkschaftsperspektive zu gewinnen und neue Impulse für die eigene gewerkschaftliche Praxis mitzunehmen.

Solidarität international

Sybille, eine junge Gewerkschafterin, war Teil dieser besonderen Reise. Schon während ihrer Ausbildung wurde sie in der IG Metall aktiv und kam dabei in Kontakt mit dem Verein Aprender Juntos e.V., der die Reise initiierte. Aprender Juntos – voneinander lernen e.V. – wurde im Jahr 2014 von gewerkschaftlichen Aktiven gegründet, mit dem Ziel durch Delegationen und gemeinsame Veranstaltungen die Vernetzung von Arbeitnehmer*innen weltweit zu fördern. Bisher wurde Kontakt nach Venezuela, Brasilien und Kolumbien aufgebaut. Dabei stehen drei Ideen im Fokus: voneinander lernen durch Bildung, voneinander lernen durch Begegnung und voneinander lernen durch organisierte Vernetzung.

Vorbereitung und Austausch

Um sich gezielt auf die Begegnungen vorzubereiten, fanden im Vorfeld zwei Vorbereitungswochenenden statt. Dabei lag der Fokus auf der detaillierten Erarbeitung des eigenen Gewerkschaftssystems, um einen qualifizierten und produktiven Austausch in Brasilien zu ermöglichen. Zudem setzten sich die Teilnehmer:innen mit der politischen Vergangenheit, der aktuellen politischen Lage sowie der Beziehung zwischen Deutschland und Brasilien auseinander und lernten erste Sätze der portugiesischen Sprache.

Internationale Solidarität erleben

Besonders beeindruckt und berührt berichtet Sybille von dem Besuch der Mercedes Werke in São Bernardo do Campo: »Als junge Frau in einer Industriebranche hat man eine andere Stellung und andere Probleme als Männer. In Brasilien im Mercedes-Werk habe ich gesehen, dass Frauen dort mit denselben Herausforderungen konfrontiert sind wie wir. Ich habe mich in ihnen voll wiedergesehen. Es war inspirierend zu sehen, dass wir trotz geografischer Distanz ähnliche Hürden meistern müssen und uns in den Auseinandersetzungen und Kämpfen gegenseitig unterstützen können.«

Die Delegation nach Brasilien fördert den Aufbau eines internationalen Netzwerks und ermöglicht einen gegenseitigen Erfahrungsaustausch. Aprender Juntos e.V. möchte durch die internationale Vernetzung von Gewerkschafter*innen und ihren Verbündeten den gemeinsamen Herausforderungen wie der Macht großer Konzerne, der neoliberalen Vorherrschaft, der Individualisierung und der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken. Gerade in Brasilien, wo 1/3 der Bevölkerung jünger als 27 Jahre alt ist, ist der Aufbau politischer Jugendstrukturen ein zentrales Element für die Gewerkschaften. Die Delegation von Aprender Juntos e.V. lernte verschiedene gewerkschaftliche Jugendvertreter:innen kennen, die von ihren Herausforderungen berichteten: prekäre Arbeitsbedingungen besonders bei jungen Menschen, fehlende politische Orientierung und Zugang der politischen Rechten. Die Erkenntnis über oft ähnliche Probleme und der Austausch über den Umgang damit stärken das Bewusstsein dafür, im Kampf für soziale Gerechtigkeit nicht allein zu sein. Zwischenmenschliche Begegnungen, das Kennenlernen anderer – und manchmal auch unerwartet ähnlicher – Arbeits- und Lebensrealitäten fördern das gegenseitige Verständnis füreinander und geben Kraft und Inspiration für die eigene gewerkschaftliche Arbeit vor Ort. Diese Momente lassen, wie bei Sybille, internationale Solidarität spürbar werden.

Eine internationale Perspektive für die tägliche Praxis

Ein zentrales Ziel der Brasilien-Delegation ist es, dass die Teilnehmer:innen die internationale Perspektive mit in ihre gewerkschaftliche und politische Praxis nehmen. Sybille beschreibt ihre wichtigsten Erkenntnisse: »Mir ist bewusst geworden, dass wir uns nicht durch Standortnationalismus gegeneinander ausspielen lassen sollten. Wir müssen unser Verständnis vertiefen, dass wir als abhängig Beschäftigte weltweit alle mit ähnlichen Problemen kämpfen.«

In den vielen Gesprächen beeindruckte den Teilnehmenden der Delegation oft das starke Bewusstsein der Menschen in Brasilien, dass Politik, Soziale Bewegungen und Gewerkschaften zusammengehören und gemeinsam gedacht werden müssen, um Veränderungen zu bewirken. Das hat Sybille »die Augen geöffnet. In unseren IG Metall Jugendseminaren wird oft über das Verhältnis zwischen Staat, Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen gesprochen. In Brasilien konnte ich sehen, wie dieser Zusammenhang in einem größeren gesellschaftlichen Kontext gedacht und praktiziert wird. Dadurch wurde mir noch deutlicher, dass wir als Gewerkschafter:innen auf allen Ebenen zusammenarbeiten müssen. Diese Erkenntnis nehme ich mit in meine eigene politische Arbeit und alltägliche Praxis.«

Empowerment ist notwendige Grundlage für Mobilisierung

Die Reise hat den deutschen Teilnehmenden an vielen Orten verdeutlicht, dass eine gut organisierte Basis eine wichtige Grundlage für internationale Solidarität und Gewerkschaftsarbeit bildet. Sybille: »Auch wenn die alltägliche Arbeit im Betrieb manchmal mühsam ist, sie ist viel wert.«

»Der Austausch nahm drei Ideen in den Fokus: voneinander lernen durch Bildung, voneinander lernen durch Begegnung und voneinander lernen durch organisierte Vernetzung.«
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Gemeinsamer Kampf: brasilianische und deutsche Gewerkschafter:innen
Gemeinsamer Kampf: brasilianische und deutsche Gewerkschafter:innen
»»Der Austausch nahm drei Ideen in den Fokus: voneinander lernen durch Bildung, voneinander lernen durch Begegnung und voneinander lernen durch organisierte Vernetzung.«

Hindernisse für internationale Solidarität – und wie wir sie überwinden können

Auf die Frage, was internationale Solidarität erschwert und hindert, hat Sybille klare Antworten: »Wir haben einen gesellschaftlich verankerten Rassismus, der uns daran hindert, echte internationale Solidarität zu leben. Wir müssen aktiv dagegen eintreten und endlich verstehen, dass Menschen nicht nach Äußerlichkeiten beurteilt werden dürfen. Es ist wichtig, den medial geprägten Bildern kritisch zu begegnen. Begegnungen sollten immer als gegenseitiges Lernen und echten Austausch auf Augenhöhe verstanden werden, nicht mit der Annahme, dass wir alles besser machen.«

Von Anfang an war der Austausch in beide Richtungen geplant. Dazu brauchte es die Unterstützung von verschiedenen Stiftungen. Doch mit Sorge beobachten die Teilnehmenden und Organisator:innen des Austausches die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland. Der politische Rechtsruck hat schon jetzt teilweise Auswirkungen auf die Fördermöglichkeiten bisheriger Geldgeber:innen. Umso wichtiger für das Projekt ist daher auch die Unterstützung der IG Metall-Initiative Respekt!

Sybille schaut mit dem Wissen um Unterstützung schon in die Zukunft: »Bereits jetzt beginnen wir mit der Planung des Rückbesuchs aus Brasilien. Im Sommer 2025 werden uns jeweils zwei Vertreter:innen der CUT (dem brasilianischen Pendant zum DGB) sowie der Landlosenbewegung MST besuchen. Momentan befinden wir uns in der Planung und Organisation um Betriebsbesuche, Expert:innentreffen und öffentliche Veranstaltungen für unsere Gäste zu ermöglichen und einen erneuten qualifizierten Austausch zu sichern.«

Daneben nimmt Sybille derzeit an einer Seminarreihe der IG Metall und ihrem Konzernbetriebsrat teil. »Wir haben das Privileg, nicht nur einen europäischen Betriebsrat für den Konzern zu stellen, sondern seit kurzem auch einen Weltbetriebsrat erstritten zu haben. Die erste Konstituierung findet im Frühjahr statt. Mit meiner bisher erworbenen internationalen Perspektive, Expertise und Initiative konnte ich bereits punkten und habe perspektivisch die Möglichkeit ab der nächsten Betriebsratswahl auf diesen Ebenen Mitbestimmung und Solidarität zu verwirklichen.«

Fazit

Die Delegation nach Brasilien zeigt, wie wichtig eine internationale Zusammenarbeit und ein internationaler Erfahrungsaustausch sind. Die Erkenntnisse und Impulse aus der Reise können langfristig in die eigene gewerkschaftliche Praxis einfließen und dazu beitragen, internationale Solidarität aktiv zu gestalten.

Mehr Berichte über die Delegation nach Brasilien erhaltet ihr in Form eines Audio-Tagebuchs auf der offiziellen Website von Aprender Juntos voneinander lernen e.V.: Jugenddelegation nach Brasilien 2024 | aprender juntos e.V. und in einem Radiointerview: Gewerkschaftskämpfe in Brasilien und die Arbeit des Aprender Juntos e.V. – Radio CORAX.